Die Unterrepräsentation von Frauen in der IT bzw. im MINT-Bereich hat weitreichende Folgen, von sozialen bis zu wirtschaftlichen. Ein wesentlicher Faktor, um die Inklusion von Frauen in IT und Technik zu beeinflussen, ist die Gestaltung von Bildungsangeboten.

In diesem Beitrag stelle ich daher wirksame Strategien für den Aufbau von Mädchen- und Frauenfreundlichen Bildungsangeboten aus meiner Lehrtätigkeit und der Literatur vor und verbinde sie mit den praktischen Erfahrungen der Frauen aus dem techshelikes Podcast.

Kreativität- und Kommunikationsfördernde Orte

Kreativität und Kommunikation-fördernde Orte kommen den Lerninteressen von Frauen eher entgegen. So wissen wir beispielsweise aus der Forschung, dass Mädchen bzw. Frauen weniger technische Bildungsangebote an Orten mit menschenfreundlicher kommunikativer Atmosphäre abbrechen.

Dazu gehört auch, die Computer- und Spielekultur in der Informatik zu diversifizieren und sicherzustellen, dass Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen vertreten sind und sich in dieser Umgebung willkommen und geschätzt fühlen. Gerade der „Spiele-“ bzw. „Computer-Talk“ der männlichen Studierenden vermittelt Frauen oft den Eindruck, nicht dazuzugehören. Es kann sie verunsichern und sie können so den Eindruck gewinnen, sich nicht genug zu engagieren und im Grunde auch nichts von Informatik zu verstehen:

Daher ist es wichtig, abzugrenzen, dass die „Computerkultur“ mit den IT-Bildungsangeboten in Wahrheit nichts zu tun hat. Auch wenn sich die Gespräche der ITlerInnen möglicherweise in der Pause bzw. Freizeit fast ausschließlich um Computerzeitschriften, Computer oder Spiele drehen, ist es wichtig, die Kompetenz in der Informatik nicht mit dem Wissen über Akronyme und Fachausdrücke spezieller Computer und –programme zu verwechseln.

Außerdem: Wenn es in einem Lernort/Makerspace zB nur große und schwere Maschinen gibt, dann kann das für Mädchen/Frauen einschüchternd sein, weil sie jemanden um Hilfe bitten müssen, um sie zu bewegen. Deswegen sollten die Dinge vereinfacht werden und sich niemand dafür schämen müssen zu sagen, dass sie noch nie einen 3D-Drucker gesehen oder bedient hat.

Weibliche Lehrpersonen und Tutorinnen

Wenn Frauen weibliche Lehrpersonen und Tutorinnen haben, die selbst in der Technik erfolgreich sind, können sie sich besser mit ihnen identifizieren und sich von ihnen inspirieren lassen.

Weibliche Lehrpersonen und Tutorinnen können auch ein besseres Verständnis dafür haben, welche Herausforderungen Frauen in technischen Berufen und Ausbildungen erleben können. Sie können Mädchen und Frauen gezielt unterstützen, um diesen Herausforderungen zu begegnen, persönliche Geschichten erzählen, wie sie mal gescheitert sind und ihnen helfen, ihre Karrieren in der Technik voranzutreiben.

Darüber hinaus können weibliche Lehrpersonen und Tutorinnen Frauen auch helfen, ihr Selbstvertrauen und ihre Fähigkeiten in der Technik zu stärken. Frauen können sich in einer Umgebung, die von anderen Frauen geführt wird, oft sicherer und unterstützter fühlen. Weibliche Lehrpersonen und Tutorinnen können Frauen auch dazu ermutigen, ihre eigenen Ideen und Perspektiven einzubringen, was zur Innovation und zum Fortschritt in der technischen Welt beitragen kann.

Interdisziplinäre Zugänge

In technischen Bildungsangeboten wird oft von Frauen erwartet, sich nur auf das spezielle Fachgebiet zu konzentrieren.

Interdisziplinäre Zugänge und offensichtlichere praktische Anwendungen erscheinen jedoch für Frauen zugänglicher. So wissen wir beispielsweise auch aus der Forschung, dass Frauen eher Interesse an den Bindestrich-Informatik-Studiengängen, wie Medieninformatik, Medizininformatik u.a. fassen. Daher ist es wichtig, multidisziplinäre Hintergründe miteinzubeziehen und Dinge, die die Frauen bewegen und womit sie sich auch außerhalb des Bildungsangebots beschäftigen. Zum Beispiel können Frauen, die sich für Technik interessieren, auch von Wissen aus den Bereichen Soziologie, Psychologie, Kunst oder Design profitieren.

So bieten wir bei techshelikes beispielsweise einen Workshop für Grundkenntnisse zum Programmieren und Virtuelle Realität an. Die Teilnehmerinnen haben dabei in der Regel keinerlei Erfahrung mit dem Thema. Anstatt sich jedoch auf den technologischen Aspekt zu konzentrieren, ist der Workshop als Sitzung zu Mode und Nachhaltigkeit angelegt. Dieser kleine Kunstgriff setzt die Hemmschwelle für Mädchen und Frauen herab.

Indem Frauen ihr Wissen in verschiedenen Bereichen erweitern, können sie auch dazu beitragen, innovative Lösungen für technische Probleme zu finden, die möglicherweise nicht von Personen entwickelt wurden, die nur auf ein spezielles Fachgebiet beschränkt sind. Gleichzeitig hilft das, Wissen und Fähigkeiten auszuweiten und Möglichkeiten im technischen Bereich zu erweitern.

Lernangebote nur für Mädchen und Frauen

Die positive Wirkung von Lernangeboten nur für Mädchen und Frauen sind laut der Literatur enorm. Auch die großen Erfolge des Sommerstudiums „informatics feminale“ in Deutschland und der „didact“ in Österreich zeigen den Bedarf und die erstaunliche Frauenfördernde Wirkung eines Lehr- und Lernraumes nur für Frauen.

Wenn Mädchen bzw. Frauen in einer Gruppe sind, die ähnliche Erfahrungen machen, können sie ihre eigenen Fähigkeiten besser einschätzen und sich selbst als Teil der technischen Community sehen. Dies kann dazu beitragen, das Gefühl der Isolation zu verringern und sie ermutigen, in der technischen Welt aktiv zu bleiben.

Überdies wurde beobachtet, wie oben bereits beschrieben, dass die sogenannte “Computerkultur”, vor allem zu Beginn bei Frauen, Fremdheit erzeugt und ihrem Selbstbewusstsein abträglich ist, während sie andererseits auch Männern für IT-Bildungsangebote wenig nützt.

Da IT-Bildungsangebote oft für einen dominanten männlichen Lerntypus ausgelegt sind, favorisieren sie (bestimmte) Männer und benachteiligen Minderheiten. Es lassen sich viele verschiedene kognitive Denk- und Lernstile unterscheiden, darunter beispielsweise zwei, die im Zusammenhang mit Informatik aufgezeigt werden:

Der eine ist regelbasiert, sequentiell, funktional. Die Lernenden folgen Regeln, zunächst ohne zu verstehen, warum die Regeln gültig sind. Verstehen und Problemlösefähigkeiten werden durch Erfahrung und Versuch und Irrtum erreicht.

Ein anderer Denk- und Lernstil ist der begriffliche, prädikative, holistische, bei dem erst ein generelles Verständnis erreicht werden muss, bevor detaillierte Regeln angegeben werden können. Der ganzheitliche Lernstil verwendet das allgemeine Verständnis, um einen Rahmen herzustellen, innerhalb dessen die Regeln in Beziehung für Problemlösungen gebracht werden können.

Wenn möglich, richten wir daher reine Mädchen- und Frauenkurse ein. Am besten als Inkubator für die Entwicklung von Kompetenz und Engagement für die Computertechnik. Wenn die Mädchen bzw. Frauen dann dazu bereit sind, können sie in eine gemischte Umgebung gebracht werden, um Erfolgserlebnisse auch in der gemischten Umgebung zu haben.

Bewusst andere Rollenzuweisungen bei Teamarbeiten

Das Hauptproblem ist die Tendenz der Mädchen und Frauen, bei Gruppenarbeiten eher Managementaufgaben zu übernehmen: Koordination der Teammitglieder, Planung und Verfolgung der Ausführung von Aufgaben, Notizen machen und User Stories erstellen.

Die Organisation des Bildungsangebots muss es ihnen daher ermöglichen, verschiedene Rollen einzunehmen, was durch intelligente Zuweisungen erreicht werden kann:

(1) Kollaborative Zuweisungen mit wechselnden Teamrollen, um das Spektrum der Fähigkeiten und Erfahrungen zu erweitern, die die Frauen haben oder sammeln müssen, um erfolgreich zu sein.

(2) Zuerst reine Mädchen- bzw. Frauengruppen und danach ein Übergang in gemischte Gruppen. Wenn die Gruppe gemischt ist, unterstütze jedoch proaktiv eine faire Beteiligung (an der Entscheidungsfindung), da es für Mädchen schwieriger ist, sich mit ihren Ideen und Ergebnissen Gehör zu verschaffen, wenn mindestens ein erfahrener Junge im Team ist.

(3) Intelligentes Pairing von mehr und weniger erfahrenen Mädchen und Frauen, um eine Grundlage für die Entstehung einer von Lernenden geführten Gemeinschaft und Mentoring-Beziehungen zwischen den Mädchen und Frauen zu schaffen.

Der bedeutendste Prädiktor für die Mädchen bzw. Frauen weiter an technischen Bildungsangeboten teilzunehmen, sind Gemeinschaft, bei Schülerinnen vor allem auch Gleichaltrige. Die Zusammenarbeit und die Entwicklung von anderen Fähigkeiten sind etwas, woran Mädchen und Frauen besonders interessiert sind. Das ist etwas anderes als bei Männern, denn wenn sie keine geeignete Gemeinschaft finden, erforschen sie Computer auf eigene Faust weiter.

Aufstehen und Bewegen

Informatik bedeutet nicht nur vor dem Computer zu sitzen und Hände zu heben, sondern die Interaktion auch auf eine Art und Weise zu fördern, die einfach zu bewerkstelligen ist und dem Unterricht Dynamik verleiht. Eine gute Möglichkeit ist, aufzustehen und sich zu bewegen, anstatt nur zu sitzen und die Hände zu heben.

So habe ich zum Beispiel eine Ostereiersuche im Informatikunterricht durchgeführt, bei der es darum ging, einen Algorithmus zu erstellen, indem die jungen Frauen für die Partnerin eine Schritt für Schritt Anleitung gemacht haben, um einen bestimmten Klassenraum in der Schule zu erreichen. Der Klassenraum soll dabei nicht benannt werden. Der Weg zu diesem Klassenraum soll möglichst detailliert sein und Anweisungen wie „Gehe einen Schritt nach vorn“, „Steige eine Stufe“ oder „Drehe dich nach …“ enthalten. Die Anweisung haben sie mit Hilfe einer Liste und eines Programmablaufplans mit dem Programm „Visio“ geschrieben. Im Anschluss haben sie diese Anleitung mit ihrer Sitznachbar*in ausgetauscht und versucht den „geheimen“ Klassenraum zu erreichen.

Mit dieser Ostereiersuche “auf Informatik” haben die Mädchen ein Bewusstsein für den Algorithmus-Begriff gebildet. Sie wissen jetzt, dass

  • ein Algorithmus eine Folge von Anweisungen ist (Reihenfolge).
  • ein Algorithmus bei beliebig häufiger Wiederholung für gleiche Eingabewerte und gleiche Rahmenbedingungen immer zum gleichen Ergebnis führt (Determiniertheitheit).
  • das Ergebnis eines Algorithmus immer zu einem richtigen Ergebnis führt (Korrektheit).
  • durch einen Algorithmus eine Aufgabe in endlich vielen Schritten erledigt wird (Endlichkeit).
  • die Schrittfolge eines Algorithmus immer gleich ist und immer zu einem eindeutigen Ergebnis führt (Eindeutigkeit).
  • jede einzelne Anweisung eines Algorithmus vom Computer (vom Mensch) ausführbar ist (Ausführbarkeit).

Außerdem kennen die Mädchen nun verschiedene Beispielformen einen Ablauf zu beschreiben.

Soziale Auswirkungen hervorheben

Verbreite die Nachricht, dass Ingenieur- und Informatikbereiche enorm soziale Auswirkungen haben. Achte darauf, Anwendungsprobleme auch von ihrer psychologischen, sozialen oder ökonomischen Dimension zu sehen, anstatt nur von der technischen Seite.

Einfache Sprache und Vergleiche mit Alltagssituationen

In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass Mädchen schnell die Orientierung verlieren, wenn viele Abstraktionsebenen gemischt werden, und dazu neigen in Frustration zu verfallen, wenn sie das Gefühl haben, die Ausdruckskunst sei ihnen fremd und nicht sie. Das Festhalten an einer Abstraktionsebene und das Informieren der Lernenden über den Wechsel der Abstraktionsebene, begrenzt die Frustration und verhindert den Rückzug der Mädchen und Frauen aus dem Bildungsraum.

Außerdem wissen wir von Frauen bzw. Menschen allgemein, dass sie den Praxis- und Berufsbezug der Inhalte in Bildungsangeboten zu wenig erklärt und die Integration von Theorie und Praxis oft  zu wenig berücksichtigt sehen. Konzentriere dich nicht so auf das formal-technische, sondern auf den Praxisbezug und die Verfolgung gesellschaftlicher Zusammenhänge.

Und zu guter Letzt:

Bildungsangebot gendersensitiv ankündigen

Kündigt das Bildungsangebot gendersensitiv an. Der Titel soll den Eindruck vom Wert des Bildungsangebots vermitteln, zB „Interaktive Geschichten programmieren“ und nicht „Programmierworkshop für Mädchen“. Aus der Literatur wissen wir, dass Bildungsangebote, die sich auf berufliche Identitäten beziehen, bei Mädchen weniger verbreitet sind, wie beispielsweise „Programmieren für (zukünftige Astronauten“. Geschlechtersensible Sprache und geschlechtersensible Illustration sind wichtig, dazu gehört auch, dass in den Materialien Mädchen und Frauen als aktive Teilnehmende gezeigt werden.

Alles in allem gibt es Mädchen und Frauen, auf die die hier genannten Aussagen nicht zutreffen, die beispielsweise Wettbewerbscharakter mögen und sich von Bildungsangeboten mit dem Schlagwort „Programmieren“ angesprochen fühlen.

 

Quellen